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Meißen: Ein neuer Blick auf Meissner Porzellan

Zweifellos spielt die Tradition in der „Porzellanstadt“ eine große Rolle. Dennoch lässt Meißen viel Raum für überraschende Porzellanmomente.
Seit 1710 fertigte Europas erste Porzellanmanufaktur prunkvolles Geschirr und prächtige Preziosen für August den Starken. Nur einen Wunsch konnte sie dem Kurfürsten zu Lebzeiten nicht erfüllen: Für eine Orgel aus Porzellan war die Zeit noch nicht reif. 291 Jahre nach Augusts Tod könnte sich das ändern. Zu verdanken ist das Ludwig Zepner, dem früheren künstlerischen Leiter der Porzellanmanufaktur MEISSEN. Er entwickelte mit der Dresdner Orgelbaufirma Jehmlich die technischen Voraussetzungen für solch ein Instrument. Dank vieler „Pfeifenpatenschaften“ von Porzellan- und Orgelfreunden schmücken bald 37 Porzellanpfeifen die Orgelempore der Meißner Frauenkirche und verstärken den Klang der historischen Kirchenorgel – da werden Porzellanfans aufhorchen!

Überraschend anders

Wer vom Porzellanzauber der Stadt lieber etwas sehen möchte, wird sich indes wundern in Meißen. Im Schatten der Blauen Schwerter hat sich eine inspirierende Kunstszene etabliert, die auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Material arbeitet. Etwa in der Görnischen Gasse, wo Künstler wie Olaf Fieber und Andreas Ehret eine lebenslange Passion für das Porzellan verbindet. Beide begannen ihre berufliche Karriere in der Manufaktur und das Material lässt sie bis heute nicht los. Gemeinsam mit Tina Hopperdietzel und Silvia Klöde gründeten sie die Künstlergruppe „Weißer Elefant“, deren Wirken man in der Gasse direkt erleben kann. Vor wenigen Jahren noch war der Straßenzug von abbruchreifen Gebäuden gesäumt, inzwischen blüht die Kunst hier sichtbar auf. In Andreas Ehrets Atelier-Galerie kann man eine erstaunliche Vielfalt von Porzellankunst bewundern und auf der Straße hat sich Olaf Fieber mit einem originellen Stadtplan in Porzellan verewigt. Wer mutig die Klinke zum Haus Nummer 5 drückt, findet sich in einem Durchgang wieder, der – ebenfalls auf Porzellan – die Historie der Gasse in alten Fotos dokumentiert. Und folgt man dem Straßenzug in Richtung der Manufaktur, lädt gar ein witziges „Porzellan-Wohnzimmer“ zur Rast ein.

Solche Ideen gefallen auch Emilio Fornieles aus Terassa in Spanien. Seit 2022 lebt und arbeitet er in Meißen und hat gerade ein großzügiges Atelier am Schlossberg 7 bezogen. „Die Präsenz von Kultur, Kunst und Handwerk finde ich sehr inspirierend.“ Für ein neues Kunstprojekt hat er seinen eigenen Zugang zu dem Material gefunden, das seine Wahlheimat weltberühmt machte. Den meist unbeachteten Rückseiten von MEISSEN-Tellern verschafft Fornieles mit filigranen Porträts ungekannte Aufmerksamkeit. Ein irrer Klaus Kinski in zarten Grautönen schaut den Betrachter an, Fornieles‘ Landsmann Pablo Picasso ist gleich vierfach präsent – „in den vier Jahreszeiten seines Lebens“, wie der Künstler erklärt. Bald wird er diese Stücke in Málaga ausstellen, wo Picasso geboren wurde und bald ein neuer Blick auf Meißen entstehen könnte.

Dafür sorgt auch die Internationale Porzellanbiennale, die Porzellankünstler aus aller Welt nach Meißen lockt: Sie startet am 30. November und wird bis in den März 2025 ein breites Spektrum zeitgenössischer Porzellankunst präsentieren.

Porzellan bewegt – bis heute

Porzellankunst auf ganz andere Weise zeigt sich in der kleinen Nikolaikirche. Die schlichte Kapelle aus dem frühen 13. Jahrhundert ist seit knapp 100 Jahren als „Porzellankirche“ bekannt und kann im Rahmen von Stadtführungen besichtigt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg gestaltete Paul Emil Börner die Kirche zu einer Gedenkstätte für die Opfer dieses Krieges – komplett in Porzellan. Mehr als 1.800 Namen gefallener Soldaten aus Meißen sind auf den weißen Epitaphen verzeichnet, die mit eindrücklichen Figuren trauernder Frauen und Kinder ausgestaltet sind. Besonders eindrucksvoll: zwei überlebensgroße Frauenfiguren im Altarraum, die mit rund zweieinhalb Metern Höhe zu den größten Figuren aus Meißner Porzellan zählen. Mitten in der Kirche will – als Kontrapunkt zu aller Trauer – ein prächtig verzierter Durchgang in der Formensprache des Jugendstils Hoffnung vermitteln.

Mit der Nikolaikirche im Rücken wird schließlich die Porzellanmanufaktur zum letzten Ziel der Entdeckungsreise. Dort findet die zeitgenössische Kunst seit Jahrzehnten überraschende Ausdrucksformen. Immer wieder suchen Künstler aus aller Welt den Kontakt und lassen sich von dem Material inspirieren. Das zeigt sich besonders auf den beiden Museumsetagen: Neben spannenden Blicken in die Vergangenheit entdeckt man hier eine berauschende Vielfalt zeitgenössischer Interventionen. Die Künstler Thukral & Tagra holen mit geflügelten Vasen und verspielten Details eine indisch grundierte Perspektive nach Meißen. Der Tübinger Anselm Reyle komponierte deformierte Formen von Tafelgeschirr zu einer bemerkenswerten Installation und die Chinesin Xiao Hui Wang lässt sich mit ihrer „Erotic Fruit“ auf ein subtiles Spiel mit der Verführung ein. Moderne Kalligrafien aus dem arabischen Raum finden sich neben barock-frivolen Figurengruppen der Amerikanerin Chris Antemann. Gleich nebenan entfalten die eleganten Tierfiguren des jungen Porzellankünstlers Maximilian Hagstotz eine schlichte Ästhetik von natürlicher Schönheit.

Spannende Einblicke in zeitgenössisches Schaffen bietet die Sonderschau „Knochen, Holz & Weißes Gold“, die bis zum 20. Oktober 2024 zu sehen ist. Sie bringt die Arbeiten der Künstler Helena Sekot, Philsoo Heo und David Torres zusammen, die einen vollkommen unterschiedlichen Blick auf das Material Porzellan werfen.

Link zur Stadt Meißen
Link zum Porzellan-Museum

Tipp: Stadtrundgang "Faszination Meissener Porzellan – über den Tellerrand geschaut"

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